28. März 2022
Central Tibetan Administration (CTA), www.tibet.net, Human Rights Watch (HRW), www.hrw.org

Trotz der chinesischen Informationssperre sickerte die Nachricht vom Ableben eines verehrten tibetischen Lamas durch


Die Nachricht vom Tod eines verehrten tibetischen Lamas, der Jahre in einem chinesischen Gefängnis zugebracht hatte, wurde trotz der verschärften Informationssperre der chinesischen Behörden vor kurzem bekannt. Wie eine zuverlässige Quelle berichtete, hinderten die Behörden eine Reihe von Anhängern daran, der Beisetzung beizuwohnen, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen, und Bilder und Videos von ihm in ihren sozialen Netzwerken zu veröffentlichen.

Der ehrwürdige 5. Choktrul Dawa Rinpoche, der auch unter seinem vollen Namen Jetsun Khenrab Wangchuk Samten Tenpe Gyaltsen Pel Sangpo bekannt ist, verstarb Berichten zufolge am Sonntag, dem 30. Januar 2022, in Lhasa im Alter von 86 Jahren. Die nächsten 14 Tage verblieb er in einem tiefen meditativen Zustand, genannt  „Thukdam“, den nur wenige vollendete Meister für eine gewisse Zeit nach dem Tod erreichen, so die Quelle.

Der ehrwürdige 5. Choktrul Dawa Rinpoche

„In dem Bemühen, den Tod geheim zu halten, haben die chinesischen Behörden die Tibeter davor gewarnt, Informationen, besonders ins Ausland, weiterzugeben, und haben jede Ehrerweisung, die ihm von seinen Anhängern und Verehrern zuteil wurde, einschließlich der Bilder und Videos, aus dem Internet entfernt“, so die Quelle weiter.

Der Quelle zufolge baten einige Anhänger, nachdem der Thukdam-Zustand des Rinpoches am 13. Februar 2022 aufgehört hatte, die Behörden und Beamten in Lhasa um die Erlaubnis, seinem Leichnam die letzte Ehre zu erweisen. Die Behörden erlaubten dies jedoch nur den Bewohnern Lhasas, anderen wurde es verweigert. „Gläubige von außerhalb Lhasas warnten die Behörden vor schweren Konsequenzen, sollten sie darauf bestehen“, so die Quelle.

Am 15. Februar gaben die Behörden vier weitere Verbote bekannt, um sicherzustellen, daß während des Trauerzuges keine Komplikationen auftreten. Die Gläubigen wurden angewiesen, 1. nicht in ihren eigenen Fahrzeugen zu kommen, 2. keine tibetische „Khatak“ außerhalb des Raumes zu entfalten, 3. keine Unruhe zu stiften und 4. keine Fotos oder Videos zu machen. Die Behörden erklärten, daß die Nichtbefolgung dieser Anordnungen zu Festnahmen und zur Annullierung der Überführung des Leichnams des Rinpoches von Lhasa zum Kloster Ganden Dhargyeling in Shag Rongpo (chin. Rongbu) führen würde.

Am 18. Februar wurde der Leichnam des Rinpoche unter schweren Auflagen und strenger Aufsicht von Lhasa ins Kloster Ganden Dhargyeling überführt. Nur zwei Fahrzeuge des Klosters durften den Leichnam eskortieren. In Rongpo versammelten sich nach Bekanntwerden der Nachricht viele einheimische Tibeter im Kloster Ganden Dhargyeling, die dem Leichnam des Rinpoches die letzte Ehre erweise durften. Als jedoch immer mehr Menschen kamen, untersagten die Behörden ihnen plötzlich, den Leichnam zu sehen. Daraufhin „brach beinahe ein Tumult zwischen den Beamten und den Einheimischen aus, doch die Situation beruhigte sich nach ein paar mahnenden Worten eines Mönch aus dem Kloster“, so die Quelle.

Am letzten Tag der Bestattungsfeierlichkeiten, am 25. Februar, waren auf strikte behördliche Anweisung hin nur die Mönche aus dem Kloster des Rinpoche zugegen. „Sie wurden vor dem Betreten des Klosters mit Ganzkörperscannern gründlich auf Handys und Kameras durchsucht“, bestätigte die Quelle.

Kurzbiographie des Ehrwürdigen 5. Choktrul Dawa Rinpoche

Dawa Rinpoche Khenrab Wangchuk wurde 1937 in Nagchu geboren. Er war der Sohn von Tsengo Yangon Lagha und seiner Frau Tsokar und hatte zwei Brüder und eine Schwester. Seine Geburt wurde von zahlreichen glücksverheißenden Zeichen und Ereignissen begleitet.

In der Zeit der „demokratischen Reformen“ in den 1960er Jahren, nach der illegalen Besetzung Tibets durch die Chinesen, wurde er wegen „Protestes gegen die chinesische Regierung“ zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Während der Kulturrevolution wurde er erneut verhaftet und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Geschwister Jigjig und Jigmey Woeser starben im Kampf gegen die chinesische Armee. Seine Schwester Sonam Palkyi lebte im Dorf Gyeso Sabha und verstarb nach schweren Mißhandlungen durch die Behörden während der Kulturrevolution.
Am 20. Mai 2010 verhängte die chinesische Regierung eine siebenjährige Haftstrafe gegen ihn, weil er hinsichtlich der Reinkarnation des achten Rongpo Choeje, des Oberlamas des Klosters, angeblich den Ratschlag Seiner Heiligkeit des Dalai Lama gesucht habe. Nach der Verhaftung des Rinpoche führte die chinesische Regierung regelmäßig politische Umerziehungssitzungen durch, bei denen die Mönche und die Öffentlichkeit wiederholt gezwungen wurden, Seine Heiligkeit den Dalai Lama und Dawa Rinpoche  anzuprangern.

Kloster Shag Rongpo

Die Spannungen erreichten im Juli 2013 ihren Höhepunkt, als Einheimische mit den die Umerziehung durchführenden Beamten zusammenstießen (1). Die Behörden ließen daraufhin das Kloster schließen, das jedoch ein paar Wochen später anläßlich der Inthronisierung des von der Regierung bestimmten nächsten Rongpo Choeje wieder eröffnet wurde.

Die chinesischen Behörden behaupteten, Dawa Rinpoche sei kein echter Lama und Dharmalehrer und es würde nach seinem Tod auch keine Wiedergeburt von ihm geben. Ein Mönch namens Ngawang Gyatso konnte Berichten zufolge dem ständigen Druck nicht mehr standhalten und setzte seinem Leben ein Ende (2).

Nun setzte die chinesische Verwaltung Shag Rongpos das Kloster Ganden Dhargyeling zuoberst auf die schwarze Liste von 113 anderen Klöstern im Bezirk. Wegen seines Alters und seiner schwachen Gesundheit wurde der Rinpoche nach Lhasa verbracht, wo er praktisch unter Hausarrest stand. Er durfte sein Kloster in Shag Rongpo nicht mehr betreten, die politischen Rechte wurden ihm verweigert und er stand gleich einer Geisel unter ständiger Bewachung durch die chinesische Polizei, bis er am 30. Januar 2022 in seiner Bleibe in der tibetischen Hauptstadt Lhasa verstarb.

(1) 4.8.2013, „Behörden schließen ein Kloster in der Gegend von Nagchu, TAR“,
http://www.igfm-muenchen.de/tibet/Phayul/2013/ShagRongpoGonpa_4.8.html

(2) 23.7.2010, „Schikanierung der Mönche des Klosters Rongpo in Nagchu - Selbstmord eines älteren Mönches“,
http://www.igfm-muenchen.de/tibet/Phayul/2010/KlosterRongpoNagchu_23.7.html